Über die Krise der sozialen Reproduktion

Text als pdf (Stand Dezember 2015)

Anmerkungen zu „Die Krise der sozialen Reproduktion“ (trouble everyday collective 2014)

Die soziale Reproduktion befindet sich in einer Krise, stellen die Verfasser_innen fest und geben davon ausgehend einen guten Einblick in die aktuelle Care-Bewegung und ihrer Gesellschaftskritik. Das als Überblick gehaltene Buch lässt jedoch einige Leerstellen. Dieser Text versucht diese zu füllen und will zudem einige grundlegende Annahmen problematisieren. Dies soll auch zum Anlass genommen werden, einzelne Punkte zum Verhältnis von Reproduktion und Produktion im Kapitalismus, zu Bedürfnissen und Krise selbst zu bestimmen. Der Text ist nicht als vollständige Rezension des Buches gedacht.

Unter sozialer Reproduktion wird im Buch die Reproduktion „des menschlichen Lebens und seiner gesellschaftlichen Formen, also der Strukturen und Bedingungen, die zum Erhalt und Fortbestand des menschlichen Lebens notwendig sind“ (S. 9) verstanden. Darunter wird sowohl unbezahlte als auch erwerbsförmige Pflege-, Betreuungs- und Hausarbeit gefasst.1 Die Hauptthese des Buches ist, dass es in der kapitalistischen Gesellschaft einen Widerspruch zwischen der Produktions- und Reproduktionssphäre bzw. zwischen sozialer Reproduktion und Kapitalakkumulation gäbe. Den Verfasser_innen zufolge zeichnet sich die kapitalistische Gesellschaft daher grundlegend durch eine „Vernachlässigung der sozialen Reproduktion und der Lebensbedingungen der Menschen“ (S. 19) aus. Der Widerspruch werde vor allem seit der Phase des Neoliberalismus zugunsten der kapitalistischen Produktion gangbar gemacht, wodurch sich die Reproduktion zunehmend prekär gestalte. Das heißt, der Staat ziehe sich immer mehr von seiner Aufgabe zurück, die soziale Reproduktion der Gesellschaft zu gewährleisten und verschiebe damit die Verantwortung auf die Einzelnen. Die Verfasser_innen konstatieren angesichts der zunehmenden Privatisierung von Pflegetätigkeiten und Altersvorsorge, niedrigen Löhnen im Sozialbereich und der verstärkten Doppelbelastung aus sowohl Lohn- als auch Reproduktionsarbeit vor allem von Frauen eine Krise der sozialen Reproduktion. Daher rufen sie zu einer „Politik vom Standpunkt der sozialen Reproduktion aus“ (S. 64) auf, denn diese „stellt die Bedürfnisse der Menschen in den Vordergrund“ (S. 59).

Von den Bedingungen auszugehen, unter denen Menschen Reproduktionsarbeit leisten und daran eine Kritik an dieser Gesellschaft zu formulieren, halten wir für einen guten Ausgangspunkt. Allerdings bestimmen die Autor_innen nicht, warum überhaupt eine kapitalistische Gesellschaft die Trennung von Produktion und Reproduktion beinhaltet und was in dieser der Zweck der Reproduktion ist. Ebenfalls fraglich bleibt die Bestimmung des Staates in diesem Verhältnis. Außerdem wird zwar erwähnt, dass für den Großteil der Reproduktionsarbeiten nach wie vor Frauen verantwortlich sind; offen bleibt leider, warum.

Generell legen zahlreiche Ausführungen im Buch nahe, Reproduktion als Zweck der Gesellschaft zu sehen und die aktuelle Situation mit Hilfe dieses Maßstabes zu kritisieren: Die Gesellschaft würde ihrem eigentlichen Ziel, nämlich eine gute Reproduktion zu ermöglichen, nicht nachkommen. Der Staat wird dabei implizit, auch wenn die Verfasser_innen sich ausdrücklich nicht affirmativ auf den Staat beziehen wollen (siehe etwa S. 62f.), in seiner Funktion als Sozialstaat idealisiert: Die Politik hätte dafür zu sorgen, dass die Menschen sich gut und ihrem Wohlbefinden entsprechend reproduzieren könnten. Warum damit einige Annahmen des Buches an der kapitalistischen Realität vorbeigehen, wollen wir im Folgenden ausführen.

1) Die Trennung zwischen Produktion und Reproduktion

Die Trennung von Produktion und Reproduktion in der Gesellschaft ist die Voraussetzung für die These des Buches. Der Text benennt zwei grundlegende historische Prozesse für die Etablierung der kapitalistischen Gesellschaft, „[z]um einen die Trennung der Leute von ihren Produktionsmitteln und zum zweiten die Trennung von Produktions- und Reproduktionssphäre.“ (S. 20). Dabei wird suggeriert, es handle sich um zwei voneinander getrennte Prozesse, die lediglich historisch zusammengefallen sind (siehe auch S. 28). Stattdessen besteht jedoch ein systematischer Zusammenhang, denn das eine führt notwendig zum anderen: Die Freisetzung der Menschen von ihren Produktionsmitteln bedeutet, dass sie von der Möglichkeit abgeschnitten sind, selbst die eigene Lebensgrundlage zu erarbeiten. Grund und Boden sowie Arbeitsmittel sind das Eigentum von anderen, die damit nach Gutdünken verfahren können. Anders als etwa in der Leibeigenschaft spricht ihnen der bürgerliche Staat zudem die Freiheitsrechte zu, über die eigene Person und damit die eigene Arbeitskraft frei verfügen zu können. Der_die so „doppelt freie“ Lohnarbeiter_in (frei von Produktionsmitteln und frei in der Bestimmung über die eigene Arbeitskraft) muss also für die meiste Zeit des Tages seine Arbeitskraft gegen Lohn verkaufen, um an das Geld für die nötigen Lebensmittel zu kommen. Während der Arbeitszeit gibt er_sie die Arbeitskraft für die Zwecke des_der Kapitalist_in her, der_dem auch das Produkt der Arbeit gehört, und arbeitet folglich nicht für die eigenen Bedürfnisse. Für die eigene Reproduktion muss er_sie also außerhalb der Arbeitszeit sorgen. Da es in der Produktion eben nicht um die eigene Reproduktion geht, muss diese an einem anderem Ort bzw. in einem anderen Zusammenhang stattfinden. In der Gestaltung dieser Sphäre ist das Individuum ebenfalls frei; das heißt, seine Reproduktion wird nicht grundlegend staatlich organisiert, sondern liegt in seiner eigenen Verantwortung. Die Trennung von Produktions- und Reproduktionssphäre bzw. die Existenz einer gesonderten Sphäre der Reproduktion folgt demnach aus der Freisetzung der Menschen von den Produktionsmitteln in Kombination mit der bürgerlichen Freiheit über die eigene Person.

Die gesellschaftliche Produktion im Kapitalismus unterliegt dem Prinzip der Geldvermehrung. Unter diesem Diktum spielen die Menschen lediglich als Arbeitskräfte eine Rolle und werden nur als solche benötigt und benutzt – sie sind in der Produktion und bei der Vermehrung von Wert gewissermaßen vom Kapital abhängige Variablen. Daraus ergibt sich als der Zweck der Reproduktion, dem Anspruch des Kapitals auf die Beanspruchung der Arbeitskräfte nachzukommen und die Menschen als solche zu erhalten. Der Zweck der Reproduktion ist demnach die Reproduktion der Arbeitskraft: Es geht darum, diese Tag für Tag nach der Verausgabung und Anstrengung in der Produktionssphäre wiederherzustellen und so zu erhalten, dass am nächsten Tag aufs Neue gearbeitet und Mehrwert für den_die Kapitalist_in geschaffen werden kann. Darüber hinaus soll in der Reproduktionssphäre auch der zukünftige Arbeitskräfte-Ersatz sichergestellt werden– damit ist die generationelle Reproduktion einschließlich der Erziehung von Kindern gemeint.

Um sich überhaupt reproduzieren zu können, sind die Einzelnen vom Kapital abhängig. Denn die für die Reproduktion notwendigen und in ihr konsumierten Mittel (wie Lebensmittel und Haushaltsgeräte) liegen als Waren vor und sind nur über Geld zugänglich, das über den Verkauf der Arbeitskraft erworben werden muss. Auf welche Weise sich die Einzelnen für ihre Reproduktion sorgen können, hängt demnach davon ab, wie viel Geld sie verdienen und wie viel Zeit und Energie ihnen nach ihrer Beanspruchung in der Produktion noch bleibt. Die „freie Zeit“ nach dem Arbeitstag muss ebenfalls darauf verwendet werden, sich für die Arbeit fit zu machen (kochen, putzen, sich erholen, beim Sport ‚Dampf ablassen‘) und ist damit auf die Lohnarbeit ausgerichtet. In der Konkurrenz besteht für Lohnarbeiter_innen darüber hinaus immer die Drohung, von dem_der Arbeitgeber_in wegen mangelnder Leistung ausgetauscht zu werden. Das verstärkt den Druck, die Reproduktion auf die eigene Leistungsfähigkeit auszurichten.

Damit existieren die beiden Sphären nicht einfach nur nebeneinander: Reproduktion muss der Produktion dienen und ist von ihr abhängig. Das Verhältnis von Reproduktions- und Produktionssphäre geht damit über die bloße Trennung hinaus und muss als Unterordnungsverhältnis bestimmt werden. Reproduktion ist folglich Bedingung und nicht Zweck in dieser Gesellschaft. Was das im Kapitalismus bedeutet, darauf wollen wir im Folgenden näher eingehen.

2) Der Angriff des Kapitals auf die soziale Reproduktion

Die Hauptthese des Buches ist nun, dass es einen Widerspruch zwischen Kapitalakkumulation und sozialer Reproduktion gäbe: Die Kosten der sozialen Reproduktion belasten die Kapitalvermehrung, sie stellen gesamtgesellschaftlich einen Abzug vom Profit dar.“ (S. 47). Deswegen sei es die Dynamik der Kapitalakkumulation, diese Kosten gering zu halten.

Was hier fehlt, ist zu bestimmen, wie das Interesse des Kapitals beziehungsweise die Logik kapitalistischer Produktion systematisch zur Reproduktion der Einzelnen steht: Ein Unternehmen will einen möglichst hohen Gewinn erzielen bzw. muss dies auch, um in der Konkurrenz nicht unterzugehen. Das heißt, Unternehmen versuchen, die Profitrate (das Verhältnis zwischen vorgeschossenem Kapital und Gewinn) zu steigern. Die Löhne, die die Arbeiter_innen zu ihrer individuellen Reproduktion benötigen, stellen sich dabei als Kosten für die Unternehmen dar. Dementsprechend hat jedes Unternehmen ein Interesse daran, seinen Arbeiter_innen so wenig Lohn wie möglich zu zahlen und diese zugleich so lange wie möglich bzw. es für das Unternehmen rentabel ist, arbeiten zu lassen. In der Produktionssphäre geht es um die Vermehrung des vorgeschossenen Kapitals, nicht darum, den Einzelnen die Möglichkeit zu einem angenehmen Leben zu geben. Im Gegenteil, die Ansprüche der Produktion, nämlich die intensive und extensive Nutzung der Arbeitskraft der Einzelnen, und der Zweck der Kapitalvermehrung gehen systematisch auf Kosten der Reproduktion der Menschen als Arbeiter_innenklasse. Wie sich die Einzelnen reproduzieren, ist damit immer prekär und krisenhaft. Konkret heißt das in den meisten Fällen: Nach der Acht-Stunden-Schicht noch rechtzeitig zur KiTa hetzen, einkaufen gehen, kochen, waschen, den lieben Kleinen bei den Hausaufgaben helfen, den WG-Putzdienst erledigen… und das bei wenig Zeit, wenig Geld, dafür mit viel Stress und gesundheitlichen und psychischen Problemen. Dass es im Privaten um „Zeit für sich“ oder „mit den Liebsten“ geht, bleibt also ein Ideal.

3) Warum eigentlich soziale Reproduktion? Die Rolle des Staates…

Reproduktion in der bürgerlich-kapitalistischen Gesellschaft stellt jedoch nicht ausschließlich einen Kostenfaktor dar, den es zu minimieren gilt, wie es das Buch formuliert (vgl. S. 31). Damit sich diese Gesellschaft erhalten kann, muss sich die Arbeiter_innenklasse als solche reproduzieren können. Andernfalls wäre Produktion dauerhaft nicht möglich. Das Handeln der Einzelkapitale greift die Reproduktion der Arbeiter_innen an und untergräbt dabei die Grundlage für das eigene Wirtschaften. Das Kapital setzt es als selbstverständlich voraus, dass sich die Lohnarbeiter_innen nebenbei von selbst reproduzieren und immer genug brauchbare Arbeitskräfte vorhanden sind. Die Einzelkapitale könnten auch nicht dafür sorgen, dass die Reproduktion der Arbeitskräfte insgesamt im gesamtgesellschaftlichen Maßstab gewährleistet ist, da alle in Konkurrenz zueinander stehen: Reproduktion langfristig zu sichern würde heißen, höhere Lohnkosten zu zahlen und ggf. mehr Menschen einzustellen, als für den_die Kapitalist_in rentabel. Das würde einen Abtrag an der Profitmaximierung bedeuten und dem Kapital, das höhere Löhne zahlt, einen Nachteil in der Konkurrenz verschaffen. Für die Sicherung der langfristigen Reproduktion braucht es einen übergeordneten Standpunkt, der nicht das Interesse des Einzelkapitals bedient, sondern für das nationale Wirtschaftswachstum insgesamt agiert.

Das lässt sich gut an einem historischen Beispiel verdeutlichen, das auch in der „Krise der sozialen Reproduktion“ angeführt wird: Im 19. Jahrhundert kam die sogenannte soziale Frage in die Welt. Sie bedeutete, dass die Arbeiter_innen durch das Kapital so extrem beansprucht wurden, dass sie sich und damit ihre Arbeitskraft nicht mehr so reproduzieren konnten, dass sie den Anforderungen in den Fabriken entsprachen (und dem staatlichen Bedarf nach Soldaten). Der Text führt dazu an, dass dies „auch möglich war, da es nur wenige staatliche Interventionen gab, noch keine Politik, die regulierend eingriff“ (S. 27), geht aber auf keine weiteren Ursachen ein. Diese Aussage lässt den entscheidenden Schritt aus: Es war überhaupt erst die Politik, die den Kapitalismus und das Privateigentum ins Recht gesetzt und so die Interessen des Kapitals auf Beanspruchung der Arbeitskraft freigesetzt hatte. Damit ist der Ursprung für die soziale Frage im Interesse des Kapitals an seiner Vermehrung zu sehen, welches systematisch auf Kosten der Menschen geht. Auf die Folgen dieses Interesses (und Arbeitskämpfe) hat die Politik im letzten Viertel des 19. Jahrhundert bspw. mit der Verkürzung des Arbeitstages und Arbeitsschutzgesetzgebungen erst reagiert. Interessant ist auch die Frage, warum sich die Politik damals zum regulierenden Eingreifen entschied – Die damalige Elite sah das nationale Wirtschaftswachstum insgesamt in Gefahr, wenn das entscheidende Material zu diesem Erfolg, die Arbeitskräfte, durch die Arbeit zugrunde gerichtet werden. Die staatlichen Interventionen verdankten sich also nicht der Sorge um das Wohlbefinden der Arbeiter_innen oder purer Menschenfreundlichkeit, sondern der Sorge um den ökonomischen Notstand und vor politischen Unruhen. Es war ein nationaler Standpunkt, der das Funktionieren des Kapitalismus als Ganzes auf dem Territorium seines Staates bestmöglich garantieren wollte. Wenn es im Buch heißt, dass das Fehlen staatlicher Regulierung zu miserablen Arbeitsbedingungen und zu niedrigen Löhnen führte, wird vergessen, dass der Staat diejenige Instanz ist, die das Prinzip der Kapitalvermehrung setzt, fördert und den dauerhaften Erhalt des kapitalistischen Systems verfolgt. Nur weil er letzteres durch die Kapitale gefährdet sah, begrenzte der Staat die Kapitale im 19. Jahrhundert mittels Arbeitsschutzgesetzen in ihren Ansprüchen an die Arbeitskräfte.

Dieser Standpunkt gilt auch heute: Die deutsche Politik hat das Ziel, „Deutschland voranzubringen“, also das Wirtschaftswachstum zu fördern. In der „Krise der sozialen Reproduktion“ heißt es dazu: „Nicht alle politischen und gesellschaftlichen Entscheidungen werden am Prinzip der Profitmaximierung ausgerichtet“, sondern auch nicht näher definierte andere „Strukturen, Institutionen, Wertvorstellungen und (Macht-)Interessen“ (S. 47) spielten dabei eine Rolle. Es stimmt: Die regierenden Politiker_innen interessieren sich nicht nur für kurzfristige Profitmaximierung, sondern auch für die Reproduktion der StaatsbürgerInnen2, soziale Stabilität und seit neustem für ökologische Nachhaltigkeit. Denn sie wollen, dass der Kapitalismus auch dauerhaft funktioniert, seine Grundlage erhalten wird. Damit sind die letztendlichen Gründe für Kapital regulierende und sozialstaatliche Maßnahmen eben nicht in bestimmten Wertvorstellungen oder sogar so etwas wie Menschenfreundlichkeit zu suchen, sondern in der Sorge für den nationalen Kapitalismus.

Das bedeutet für die soziale Reproduktion, dass der Staat nicht nur ein Interesse an einem Nachschub an Arbeitskräften verfolgt, mit denen das Kapital etwas anfangen kann. Es geht ihm auch um seine StaatsbürgerInnen, weswegen der Staat die generationelle Reproduktion der Arbeiter_innen im Blick hat – für den nationalen Kapitalismus und die Macht des Staates. Ausgaben im sozialen Bereich, also für die soziale Reproduktion, erscheinen von dieser Warte nicht nur als Kostenfaktor, sondern als lohnende Ausgabe: Das zeigt sich etwa an der staatlichen Leistung des Kinder- und Elterngeldes, mit dem der Staat in seine neuen StaatsbürgerInnen investiert, ohne dass direkte Profitmaximierung das Ziel ist. Über Sozialleistungen versucht der Staat, den Widerspruch zwischen Kindererziehung als Privatsache und Lohnarbeit gangbar zu machen und handelt dafür nicht immer im Interesse des Kapitals, teilweise sogar zu dessen Nachteil. Während das Kapital von sich aus keine Einschränkung seiner Zugriffsmöglichkeiten auf Arbeitskräfte haben möchte, was zum Beispiel Kinderbetreuung nun mal bedeutet, sind diese durchaus im Interesse des Staates an neuen StaatsbürgerInnen und dauerhaftem Kapitalismus. Besonders deutlich wird dies an der Gesetzgebung zum Kündigungsschutz für Mütter. Für Unternehmen ist diese schlichtweg hinderlich, ergeben sich doch für sie keinerlei Vorteile daraus, Frauen nach einer Auszeit und dann auch noch mit kleinen Kindern weiterzubeschäftigen. Als (tatsächlich oder in der Zuschreibung) Zuständige für die Kindererziehung stehen diese dem Zugriff des Kapitals nur eingeschränkt zur Verfügung. Der Staat hingegen will damit sicherstellen, dass Frauen trotz der Härten in der Lohnarbeit noch Kinder bekommen. Insofern ist es also ebenfalls hier zutreffend, dass nicht nur das Prinzip der Profitmaximierung unmittelbar bestimmend ist. Doch auch wenn der Staat gegen Kapitalinteressen entscheidet, geht es ihm dabei um den Standort Deutschland und dessen Vorankommen.

Im Ziel „nationales Wirtschaftswachstum voranbringen“ trägt der Staat dabei den Widerspruch zwischen Produktion und Reproduktion in sich, was etwa zu Kontroversen in der Regierung führt: Beispielsweise verfolgt das Wirtschaftsministerium das Ziel, gute Bedingungen für das Kapital bereitzustellen, um das Wirtschaftswachstum zu erhöhen, etwa durch geringe Lohnkosten. Das Ministerium für Arbeit und Soziales hingegen trägt dafür Sorge, dass sich die Arbeiterklasse erhalten kann und setzt dafür zum Beispiel den Mindestlohn durch. Dass Unternehmen versuchen, diese Regelungen weitestgehend zu brechen und zu ignorieren, zeigt wiederum: Die Gründe für Unternehmen, so niedrige Löhne wie möglich zu zahlen, sind durch die Gesetzgebung keineswegs aus der Welt. Der Staat ändert damit rein gar nichts an der grundlegenden Funktionsweise des Kapitalismus, sondern greift regulierend in den Interessengegensatz zwischen Kapital und Arbeiter_innen ein, damit die Reproduktion der letzteren garantiert werden kann. Ausgaben für die Sicherung der Grundlage des Kapitalismus können demnach möglicherweise einen kurzfristigen Abtrag am Wirtschaftswachstum bedeuten, stellen dafür aber bessere Bedingungen für das langfristige Funktionieren und Wachsen des Kapitalismus her, sodass sich die BRD in der Staatenkonkurrenz auch morgen noch behaupten kann.

Weiter heißt es: „Das Prinzip der Kapitalvermehrung setzt sich aber immer wieder durch. Das heißt, dass beispielsweise die Bundesrepublik nicht frei entscheidet, wie viele Ausgaben im sozialen Bereich getätigt werden, sondern dass sie im Rahmen der kapitalistischen Gesellschaftsformation immer Bedingungen herstellt, die gut für die kapitalistische Wirtschaft sind.“ (S. 47). Die Rede von der Unfreiheit der Politik legt die Vorstellung nahe, dass sich das Prinzip der Kapitalvermehrung beständig ungewollt durchsetzt – als sei es eben nicht ein staatliches Prinzip, sondern etwas ihm äußerliches. Zugespitzt würde das heißen, dass sich die Regierung der BRD eigentlich auch gern mal gegen Kapitalvermehrung entscheiden würde. Nur gibt es nicht den bösen Kapitalismus auf der einen und den guten Sozialstaat auf der anderen Seite: Die BRD als bürgerlicher Staat trägt genau beides in sich und der Sozialstaat ist dazu da, die Grundlage des Kapitalismus zu sichern. In der Entscheidung, wie und durch welche Maßnahmen der Kapitalismus vorangebracht werden soll, ist die BRD entgegen dem obigen Zitat vollkommen frei. Dass sich das Prinzip der Kapitalvermehrung immer wieder durchsetzt, ist weder zufällig noch unabsichtlich, sondern genau die Intention des bürgerlichen Staates. Denn der Staat ist kein beliebig bespielbares Feld, kein „Austragungsort von Kämpfen, in denen verschiedene Interessen gegeneinander stehen“ (S. 17) – vielmehr ist er eine Aushandlungsfläche lediglich über das gesetzte Ziel, den nationalen Kapitalismus zu fördern. Jede staatliche Entscheidung muss sich daran messen, ob sie gut für die Nation ist. Das zeigt sich in der wiederkehrenden Aussage von regierenden Politiker_innen über Forderungen der Opposition: „Sie sollten mal erst selbst in Regierungsverantwortung kommen.“ Und auch jede Oppositionspartei merkt, dass sie, einmal an der Macht, nur entsprechend dem Staatszweck handeln kann. So haben die Grünen gelernt, dass sie Umweltschutz nur betreiben können, wenn sie auch den Kapitalismus fördern. Selbst jede Bürger_inneninitiative hat (mehr oder weniger direkt) nachzuweisen, dass ihr Einsatz für mehr Spielplätze oder gegen Kohlekraftwerke dem deutschen Standort nützt (oder zumindest nicht schadet).

Der Staat ist also alles andere als der Retter in der Not. Vielmehr ermöglicht er das dauerhafte Funktionieren der kapitalistischen Gesellschaft überhaupt erst, indem er den Widerspruch zwischen Produktion und Reproduktion gangbar macht. Damit ist dieser Widerspruch eben nicht aus der Welt, sondern wird erhalten. Anders als es im Text heißt, lässt sich also nicht sagen, dass „staatliche und wirtschaftliche AkteurInnen […] nicht immer das Interesse [verfolgen], die subjektiven Bedürfnisse von Menschen zu befriedigen“ (S. 13, eigene Hervorhebung) – der gesetzte Zweck der staatlichen und wirtschaftlichen Akteure ist prinzipiell ein anderer.

4) Wie reproduzieren sich die BürgerInnen?

Aus Interesse am nationalen Wirtschaftswachstum spielt der Staat eine fundamentale Rolle dabei, in welchen Formen sich seine BürgerInnen reproduzieren. Das Private ist also ebenfalls politisch und kein separater Raum, der abgetrennt von den gesellschaftlichen Verhältnissen existiert. Überhaupt ist es erst der Staat, der die Privatsphäre als solche erschafft und gestaltet. Beispielsweise wurde die klassische bürgerliche Kleinfamilie mit ihrer Unterordnung der Ehefrau unter den Ehemann und geschlechtsspezifischen Arbeitsteilung von der damaligen Politik ins Recht gesetzt. Das Bürgerliche Gesetzbuch sah bis 1977 vor, dass Frauen die Erlaubnis ihres Ehemannes für die Annahme einer Lohnarbeit brauchten und legte im Prinzip den Mann als Ernährer auf Lohn-, die Frau auf unbezahlte Reproduktionsarbeit fest. Die Ehefrau war somit qua Recht das ‚Objekt‘ ihres Ehemannes und – auch lange nach 1977 noch – seiner Gewalt ausgeliefert. Während dieses Familienmodell heute nicht mehr als funktional erachtet und daher nicht mehr staatlich gestützt wird, wird den Einzelnen dennoch, bei aller Freiheit, eine bestimmte Form der privaten Organisation und des Zusammenlebens nahegelegt. Durch Anreize bspw. in Form von Steuervorteilen und besonderer Unterstützung bei unerfülltem Kinderwunsch fördert die Politik nach wie vor die heterosexuelle Ehe. Und auch wenn die klare geschlechtsspezifische Arbeitsteilung bei fast allen politischen Parteien in Verruf geraten ist, kann keine Rede davon sein, dass nicht immer noch Frauen das meiste an Hausarbeit, Kinderbetreuung und Pflege im Privaten ausführen.

Warum entschieden sich die damaligen politischen Entscheidungsträger für die Durchsetzung dieses Modells privater Reproduktion? Warum fördert die Politik nach wie vor das (heterosexuelle) Familienmodell – und warum hält sich darin eine Form der Arbeitsteilung, die sich an der Kategorie Geschlecht festmacht?

Das Buch stellt dazu die These auf, dass das Alleinernährer-Modell, in dem der Mann lohnarbeiten ging und die Hausfrau daheim die Reproduktion erledigte, politisch durchgesetzt wurde, da es „sehr effizient und kostensparend, sowohl für das Kapital, als auch für den Staat“ (S.31) gewesen sei. Ausgaben für die soziale Reproduktion „stellen gesamtgesellschaftlich einen Abzug vom Profit dar“ (S. 47), während unbezahlte Reproduktionsarbeit die Profitrate indirekt vermehre. Als Grund, warum Frauen diejenigen sind, die zumeist diese Arbeiten ausführen, benennt das Buch indirekt die herrschenden Geschlechterbilder.3

Dass die Ursache für die politische Einrichtung des Alleinernährer-Modells darin zu sehen ist, dass sie für das Kapital (und darüber vermittelt für den Staat) die kostengünstigste Variante der Organisation der Reproduktion darstellte, zweifeln wir an. Die Gewährleistung von Reproduktion durch unbezahlte Arbeit der Ehefrauen bedeutet nicht per se, dass die Unternehmen darüber weniger Kosten haben. Der Ernährerlohn, der zusätzlich die nicht-lohnarbeitende Hausfrau und Kinder mitfinanzieren soll, könnte genauso gut eine versteckte Ausgabe für das Kapital darstellen: Bei sittlich-moralischer Durchsetzung dieses Modells müssen die Unternehmen den Männern höhere Löhne zahlen und können diese wegen der niedrigen Masse an verfügbaren Arbeitskräften möglicherweise nicht so leicht drücken.4 In jedem Fall lässt sich nur spekulieren, ob es der Profitrate eines Unternehmens abträglicher ist, wenn die Frau zu Hause vollständig für den Mann arbeitet – der im Gegenzug das Familieneinkommen nach Hause bringt – oder die Arbeiter_innen Teile des Lohns für auf dem Markt eingekaufte Reproduktionsarbeit ausgegeben. Ein generelles Interesse des Kapitals an unbezahlter Reproduktionsarbeit beziehungsweise eine Präferenz des Kapitals für eine bestimmte Art und Weise der Organisation von Reproduktion liegt demnach nicht vor. Die Gründe für die damalige politische Einrichtung und Förderung der bürgerlichen Kleinfamilie und des dazugehörigen Geschlechterverhältnisses können demnach nicht einfach im Kapitalinteresse nach kostengünstiger Produktion liegen. Heutzutage wird die Erwerbstätigkeit von Frauen in Deutschland sogar staatlich gefördert: Für den nationalen Reichtum will die Politik nicht auf sie als Arbeitskräfte (und ihre angeblich besonderen „weiblichen Qualifikationen“ und social skills, wie sie in bestimmten Berufszweigen verlangt werden) verzichten, sondern sie ebenfalls für das Kapital nutzbar machen.

Die Entscheidung für bestimmte Reproduktionsmodelle geht offensichtlich nicht rein im Kapitalinteresse auf. Stattdessen, meinen wir, muss zum einen das staatliche Interesse an (heterosexueller) Familie und Kindern in der bürgerlich-kapitalistischen Gesellschaft betrachtet werden und zum anderen die Frage gestellt werden, wie das Geschlechterverhältnis aussieht und inwiefern dieses aus einer bestimmten sittlich-moralischen Perspektive funktional5 für die kapitalistische Gesellschaft ist.

4.1 Die (heterosexuelle) Familie als Erfolgsmodell privater Reproduktion

Staatlicherseits wird die heterosexuelle Familie und Ehe als Erfolgsmodell privater Reproduktion gefördert. Davon verspricht sich der Staat einiges: Durch die Institution der Familie werden die Einzelnen rechtlich aufeinander verpflichtet. Das heißt bspw., dass Eheleute finanziell füreinander einstehen müssen und sich gegenseitig bei ihren täglichen Anforderungen unterstützen. Als Eltern müssen sie die Verantwortung für ihren Nachwuchs übernehmen und andersherum die Kinder für ihre pflegebedürftigen Eltern aufkommen. Dabei ist unterstellt, dass der Alltag mit seinen Anforderungen von Lohnarbeit und individueller Reproduktion eine Herausforderung darstellt, der man alleine nicht so leicht gewachsen ist. Bevor die Politik bei den Wechselfällen des Arbeitsleben wie bspw. Arbeitslosigkeit stützend eingreifen müsste, steht somit das soziale Netz der Familie bereit und zieht die Einzelnen zur Verantwortung. Vor allem ist die Familie dafür eingerichtet, Kinder aufzuziehen. Aus staatlicher Sicht ist Kindererziehung dort nämlich am besten aufgehoben: Die Politik geht davon aus, dass sich über „familiäre Liebe“ am besten die Werte, Moral und Anforderungen in dieser Gesellschaft vermitteln lassen. Damit stellt Familie eine attraktive Form der Organisation von Reproduktion ihrer BürgerInnen dar. Mit diesem Anspruch und als Hauptinstanz der (vor allem generationellen) Reproduktion bleibt sie unhinterfragt, auch wenn in der Politik Meinungsverschiedenheiten darüber existieren, wie sie konkret am besten ausgestaltet sein soll.

Debattiert wird beispielsweise die Frage, wie viel außerhäusliche Betreuung neben der Familie für Kinder in Hinblick auf ihre Entwicklung förderlich ist, d.h. ihrer Kompetenzen, um den gesellschaftlichen Anforderungen gewachsen zu sein und der Annahme einer Deutschland verpflichteten, bürgerlich-demokratischen Gesinnung. Auch über die heterosexuelle Festlegung der Ehe wird seit einigen Jahren gestritten. Die Bundesregierung unter Rot/Grün führte 2001 für homosexuelle Paare zwar die eheähnliche Rechtsinstitution der Eingetragenen Lebenspartnerschaft ein, doch genießt diese nicht alle rechtlichen Vorzüge der Ehe. Unter anderem wird homosexuellen Paaren die gemeinsame Adoption verweigert. Gerade dass der Punkt der Kindererziehung in der Debatte um die gleichgeschlechtliche Ehe immer wieder aufkommt, ist höchst aufschlussreich für die Rolle der Familie: So meinen die Gegner_innen der Öffnung der Ehe und Gleichstellung mit den Heteros, dass gleichgeschlechtliche Paare nicht so gut den deutschen Nachwuchs aufziehen können. Die homophobe Vorstellung, welche Homosexuellen ihre Elternqualitäten abzusprechen weiß, rekurriert vor allem auf den Weg der ’natürlichen‘ Zeugung von Kindern: nur „Mann“ und „Frau“ sind zu reproduktivem Sex fähig, weswegen nur sie die Keimzelle der Gesellschaft bilden könnten. Die Befürworter_innen hingegen betonen genau die Elternqualitäten homosexueller Paare. Dass sich die Debatte um die „Homo-Ehe“ genau an der Frage des vermeintlichen Kindeswohls aufhängt, zeigt, dass es bei Familie vor allem um den Anspruch geht, neue StaatsbürgerInnen hervorzubringen.

4.2 Geschlechterverhältnis und geschlechtsspezifische Arbeitsteilung

Die geschlechtsspezifische Arbeitsteilung macht sich an der Sphärentrennung von Produktion und Reproduktion fest, wie sie in den Kapiteln zuvor beschrieben notwendig aus der kapitalistischen Produktionsweise erfolgt. Passend zu diesen beiden Sphären und ihren Ansprüchen existieren zwei klassische Geschlechtscharaktere, die Individuen jeweils als Mann oder Frau sortiert bestimmte Attribute abverlangen und auf eine der Sphären verweisen: Die Ansprüche an den Mann, dieser solle sich durchsetzen, aktiv und stark sein, passen zu den Anforderungen in der Lohnarbeit und Produktionssphäre, während die Frau als emotional, kümmernd, empathisch, passiv und sich selbst zurücknehmend auf das Dasein für Andere (sprich klassischerweise Ehemann und Kinder) in der Reproduktion verwiesen wird. Die Frau hat somit die Aufgabe, den Mann wieder für die Lohnarbeit fit zu machen, indem sie ihn als Reproduktionsgehilfin nach der Arbeit betüdeln, für ihn sorgen, für ihn schön sein und ihm auch sexuell zur Verfügung stehen, kurz, für seine Kompensation nach den Härten der Lohnarbeit da sein soll. Wie die Reproduktionssphäre auf die Produktion ausgerichtet ist, hat auch die Frau für den Mann dienstbar zu sein. Mittlerweile ist auch an Frauen der Anspruch durchgesetzt, sich als Lohnarbeiterin verwertbar fürs Kapital zu machen und die dafür passenden Eigenschaften an sich auszubilden.6 Die Erwerbstätigkeit von Frauen hat jedoch kaum etwas an dem Anspruch geändert, dass sie immer noch für die Reproduktionsarbeit zuständig und Mütter zu sein haben. Zur klassischen Zuweisung der Reproduktionsarbeit mit Haushalt und Kindern kommt mit der Lohnarbeit eine weitere Anforderung hinzu. Diese widersprüchlichen und schwer zu vereinbarenden Ansprüche unter einen Hut zu bringen, führt zu einer Doppelbelastung.

Das Geschlechterverhältnis mit seiner geschlechtlichen Arbeitsteilung hält sich trotz aller Modernisierung also hartnäckig. Nach wie vor fühlen sich vor allem Frauen (ob in der Familie oder anderen Formen des Zusammenlebens) für Reproduktionsarbeiten verantwortlich und suchen im Kinderkriegen und in der Familie ihre Erfüllung, trotz aller Doppelbelastung und widersprüchlichen Anforderungen. Wir sehen dafür drei Faktoren als ausschlaggebend: die Bevölkerungspolitik, die Übernahme des eingeforderten weiblichen Rollenbildes seitens großer Teile der als Frauen Sortierten7 und die Maßstäbe des Kapitals.

Anspruch der Bevölkerungspolitik: Muttersein

Bei der Festlegung von Frauen auf die Reproduktionssphäre spielt die Bevölkerungspolitik eine ausschlaggebende Rolle. Im Rahmen der Bevölkerungspolitik kümmert sich der Staat darum, dass die Bevölkerung mengenmäßig und von ihrer Verfasstheit her zu den aktuellen nationalen Interessen passt (dazu siehe Kapitel 2). Aus diesen Interessen heraus existiert ein klarer Auftrag an die Frau: Sie soll Mutter sein. Angesichts des Geburtenrückgangs in Deutschland beschäftigen sich Politik und Öffentlichkeit immer wieder mit der Frage, warum Frauen, vor allem Akademikerinnen und aus der Mittelschicht, denn keine Kinder mehr bekommen. Interessanterweise wird die Frage damit nicht an Männer als potentielle Väter gestellt, die auch in der Statistik von Geburten- oder Fruchtbarkeitsraten keine Rolle spielen. Dabei macht die geschlechtsspezifische Norm noch keinen Halt, sondern bezieht sich auch auf die Hege und Pflege des Nachwuchses: Die Anwesenheit der Mutter besäße für die gute Entwicklung des Kindes – insbesondere im ersten Jahr – eine ausschlaggebende Rolle. Obwohl die Politik den Vater seit einigen Jahren mittels Anreizen verstärkt fordert, gilt die Frau zumeist als Hauptverantwortliche für die Kinderziehung. Denn das, was eine Frau der Vorstellung nach ausmacht, ist kaum zu trennen von Mutterschaft. Der Anspruch an Frauen, Kinder zu gebären und aufzuziehen, wird in ihr Wesen verlagert. Es gilt gemeinhin als natürlich, dass Frauen Mütter werden wollen, es gehöre zum Frau-Sein dazu. Die Metapher der biologischen Uhr spricht Bände über die Naturalisierung des weiblichen Kinderwunsches.

Aneignung eines (modernen) weiblichen Rollenbildes

Nicht nur das Gebären-Wollen kommt dabei als natürliche Angelegenheit daher, im „Wesen der Frau“ spiegeln sich auch die anderen Anforderungen der Reproduktionsarbeit wider: Für die Betreuung des Kindes (und die Dienstbarkeit für den Mann) sind die ihr zugeschriebenen Eigenschaften der Emotionalität, Empathie und Selbstzurücknahme wie gemacht.

Die Frauenrolle, welche auf die Funktion für die Reproduktion zugeschnitten war, hat sich im Zuge ihrer selbstverständlichen Berufstätigkeit verändert: Der Verstand wird ihr nicht abgesprochen und sie darf bzw. soll sogar auch (wie der Mann) stark, durchsetzungsfähig und ‚unabhängig‘ sein – ganz gemäß den Anforderungen des Kapitals und der Konkurrenz. Dies relativiert sich jedoch an den Ansprüchen, weiterhin als Ehefrau und Mutter zu funktionieren. Am „eigentlichen“ (einfühlsamen) weiblichen Wesen wird damit festgehalten, welches Frauen darüber hinaus für besondere Anforderungen im Beruf besonders geeignet machen soll (dies reicht von vermeintlichen weiblichen Führungsqualitäten bis hin zur besseren Eignung für den Care-Bereich).

Viele der als Frauen Sortierten nehmen sich diese doppelte, widersprüchliche Rolle an, machen sie zu ihrer Identität und finden gute Gründe dafür, warum es damit auch seine Richtigkeit und Natürlichkeit hat.8 Den Boden für die Aneignung und den positiven Bezug bietet dabei ihre weibliche Sozialisierung, in der Frau-Sein an den richtigen Stellen vom Umfeld belohnt und Non-Konformität sanktioniert wird. Die Gesellschaft macht den Frauen dann genau das Angebot, ihrer Identität entsprechen und nachkommen zu können: Ihr Glück dürfen sie im Für-Andere-Dasein suchen, als Mutter und Reproduktionsgehilfin; jede Selbstverwirklichung im Job oder etwaige Karriere darf nicht auf Kosten dieses „privaten Erfolges“ gehen. Dass die Art und Weise, wie Reproduktion und Kinderhaben in dieser Gesellschaft organisiert sind, eine Zumutung und eine unheimlich schädliche Stellung zu sich selbst bedeuten, nämlich als Aufopferung und Durchstreichen eigener Bedürfnisse, erscheint hierin nicht mehr als Härte, sondern die Möglichkeit, sich dem eigenen Wesen entsprechend zu betätigen und selbst zu verwirklichen. Diese Rolle zu realisieren und daran festzuhalten – trotz aller inneren und äußeren Konflikte, die damit einhergehen – liegt damit mehr oder weniger nahe, um sich in dieser Gesellschaft einzufinden und als etwas gelten zu können.

Frauen und die Ansprüche des Kapitals

Der Schritt, als Frau für sich in der Kinderpflege und Reproduktion die Erfüllung zu suchen, fällt umso leichter, wenn die Aussichten in der Lohnarbeit keine besonders rosigen sind. Frauen haben es auf der Arbeit und bei der Karriere noch schwieriger als ansonsten auch schon die Männer. Von Arbeitskräften, vor allem von denen in der freien Wirtschaft, verlangen Unternehmen, dass diese kontinuierlich, flexibel einsatzfähig, mit voller Konzentration bei der Sache und dem Unternehmen gegenüber verpflichtet sein sollen. Als Arbeitskraft ein Kind zu bekommen und zu haben steht diesem Anspruch prinzipiell entgegen. Über Frauen fällen Personalabteilungen dabei ein sexistisches Generalurteil: Aus Sicht der Unternehmen sind sie „tickende Zeitbomben“, die erstens bald schwanger werden, zweitens länger für die Kinderbetreuung Auszeit nehmen und danach vielleicht nicht wirklich bei der Sache sind, weil in Gedanken immer beim Kind. Da das einen Abtrag am Kapitalinteresse darstellt, fällt ihr Lohn häufig geringer aus als bei Männern, ein Mann wird bei gleicher Qualifikation eher eingestellt und Frauen sind diejenigen, die bei gleicher oder sogar besserer Qualifikation bei einer Beförderung unberücksichtigt bleiben. Die Unterstellung gilt eben unabhängig davon, ob eine Frau überhaupt schwanger werden kann oder will. Selbst diejenigen Frauen, die alles darauf setzten, ihre Unabhängigkeit vom (Ehe-)Mann und Kindesjob zu bewahren und ihre Erfüllung auch weiterhin in der Lohnarbeit suchen wollen, sind damit konfrontiert. Es ist ein Kreislauf: Die allen Frauen zugeschriebene Potenz zu gebären und die Norm der Mutterschaft wird auf Grundlage der Gleichbehandlung des Kapitals (wie nützlich ist die Person für mich?) zu einem Nachteil in der Konkurrenz. Die Gleichbehandlung des Kapitals macht Kinder zu einem Nachteil in der Konkurrenz – einer, der in der sexistischen Realität fast alle Frauen trifft. Das macht es Frauen zumeist attraktiver, für die Kinderbetreuung eine Auszeit zu nehmen oder sich komplett gegen ein Kind zu entscheiden. Die Politik, schwer beschäftigt mit Geburtenrückgang und zahlreichen ausgebildeten, qualifizierten Arbeitskräften, die sich der Nutzung durch das Kapital (temporär) entziehen, will diese beiden Resultate nicht. Die Vereinbarkeit von Beruf und Familie fördern lautet die Devise. Dafür soll auch der Mann als Vater in die Pflicht genommen werden, wie bspw. durch die neue Elterngeldregelung. Trotz des Anreizes partnerschaftlicher Aufteilung der Erziehungszeit zwischen Mutter und Vater, fördert diese durch die Gleichbehandlung implizit die Verantwortlichkeit der Frauen für die Kindererziehung: Rein materiell bietet sich an, dass das Elternteil mit dem geringeren Einkommen die Auszeit nimmt, im Regelfall nun mal die Frau.9

5) Krise

Im Kapitalismus ist es um die Bedürfnisbefriedigung der Menschen nicht besonders gut bestellt – als bloße Bedingung für den Kapitalismus und nicht als eigener Zweck ist sie notwendigerweise prekär; das Kapitalinteresse an Profitvermehrung steht einer Reproduktion der Individuen entgegen. Den Verfasser_innen zufolge könne dieser „Widerspruch im Kapitalismus […] zugespitzt zur Krise führen“ (S. 48) und zeige sich aktuell daran, dass (auch bezahlte) Reproduktionsarbeit unter zunehmend prekären Bedingungen stattfindet und zudem meist an Frauen hängen bleibt.

Doch wo beginnt die Krise eigentlich? Das Buch erweckt den Eindruck, die Zuspitzung der Widersprüche beginnt erst mit dem Rückzug des Sozialstaates im Neoliberalismus, der die Verantwortung den Einzelnen und damit vor allem den Frauen aufbürdet. Natürlich treten die Widersprüche offener zutage, wenn sie nicht mehr durch den Staat gangbar gemacht werden; an einer Analyse davon, warum der Staat tut, was er tut, geht dies aber vorbei. Existent sind die Widersprüche nämlich schon immer; mit der Profitvermehrung als Zweck von Staat und Kapital ist die Krise der sozialen Reproduktion inhärent und dauerhaft, es handelt sich dabei um eine grundsätzliche Eigenschaft des Systems. Während die Autor_innen diese Dauerhaftigkeit an anderer Stelle durchaus feststellen (z.B. „Feminist_innen betonen, dass es eine dauerhafte Krise sozialer Reproduktion gibt“, S. 43), stellt sich dennoch die Frage, warum als Grundthese erst die Verschärfung dieses Gegensatzes als Krise bezeichnet wird – und warum überhaupt ein Dauerzustand als Krise bezeichnet werden muss. Dies legt zum einen nahe, dass Reproduktion auch ’nicht krisenhaft‘ gestaltet werden könne und unterscheidet zum anderen nicht, für wen es sich eigentlich um eine Krise handelt. Für Staat und Kapital nämlich funktioniert Reproduktion unabhängig von den prekären Bedingungen für die Einzelnen ganz hervorragend, so lange die Arbeitskräfte einsatzfähig und qualifiziert sind.

Die Autor_innen halten dazu fest, dass bezüglich der Reproduktionssphäre von einer Krise zu reden als „strategische Intervention gedacht [ist] mit dem Ziel, die Reproduktionssphäre neu zu bewerten und in das Zentrum politischen Handelns zu stellen“ (S. 17). Diese politisch motivierte Anwendung des Begriffs Krise auf die Reproduktion führt dann möglicherweise dazu, dass analytisch ungenau wird, warum sich was eigentlich seit wann für wen in der Krise befindet. Zudem impliziert der Wunsch nach einer Neubewertung der Reproduktionssphäre einmal mehr, dass es sich hier um den eigentlich wichtigen und guten Ort der Gesellschaft handelt und somit der bürgerlichen Idealisierung der Reproduktionssphäre als Ort der Bedürfnisse, in denen es mal wirklich um das Individuum geht, auf den Leim geht.

Fazit

Trotz dem guten Überblick und richtigen Ausgangspunkten werden viele Aspekte im Buch nicht hinreichend oder auch falsch bestimmt, die unseres Erachtens für die Analyse der Reproduktion der bürgerlich-kapitalistischen Gesellschaft notwendig wären.

Mit Blick auf die These einer ‚Krise der sozialen Reproduktion‘ stellt sich für uns vor allem die grundlegende Frage, was genau im Buch damit gemeint ist. Durch das Buch zieht sich eine Vermischung von zwei unterschiedlichen Verständnissen von Reproduktion, die für einige Widersprüchlichkeiten sorgt: Einerseits lässt sich dort Reproduktion als Erfüllung der Bedürfnisse der Individuen und Sorge für ihr Wohlbefinden, kurz, das „gute Leben“, lesen. Diese kann es aber im Kapitalismus nicht geben – es geht prinzipiell um etwas anderes als darum, dass es den Individuen gut geht, der Inhalt dieses Systems steht vielmehr einer Orientierung an den Bedürfnissen der Menschen kategorisch entgegen. Dieses Problem ist systemimmanent und nicht erst seit dem Neoliberalismus aktuell. Es mit Krise zu bezeichnen, trifft das Phänomen also nicht. Andererseits wird Reproduktion im Buch teilweise auch in ihrer Funktion für das Kapital, als Reproduktion der Arbeitskraft verstanden – eine Auffassung, die wir teilen, da Reproduktion innerhalb des Kapitalismus gar nicht ohne ihren Zweck für die Produktion gedacht werden kann. Dahingehend können wir ebenfalls schwerlich eine Krise feststellen – dem Kapital geht es in Deutschland pudelwohl. Auch die für die Individuen prekärste und belastendste Form der Reproduktion ist funktional für das Kapital, solange sie ihren grundlegenden Zweck erfüllt und die Arbeitskräfte fit für die Produktion hält. In beiden Fällen, beiden Bedeutungen, die das Buch für soziale Reproduktion nahe legt, trifft die Bestimmung der Krise als aktuelles Phänomen also nicht zu.

Daran schließt sich eine Unklarheit darüber an, wie das Ziel einer Politik gemäß der Bedürfnisse der Menschen erreicht werden und wie die Revolution vom Standpunkt der sozialen Reproduktion aussehen soll. Das Buch schwankt zwischen verschiedenen Möglichkeiten hin und her – soll der Staat mehr leisten oder braucht es einen kompletten Umsturz? Ohne Zweifel sind an verschiedensten Stellen Kämpfe sinnvoll, um die beschissenen Bedingungen zum Beispiel in Care-Berufen zumindest etwas abzumildern, die Belastung von lohn- und reproarbeitenden Frauen zu verringern oder für Einzelne ein etwas weniger sorgenvolles Leben zu erreichen. Nur leider werden damit die Gründe, warum die Bedingungen so prekär sind, nicht aus der Welt geschafft. Reproduktion in dieser Gesellschaft kommt nur zustande, wenn es dem Zweck der Kapitalakkumulation dient – Reproduktion kann nicht der dominante Standpunkt in dieser Gesellschaft werden, weil es um sie gar nicht geht. Dies liegt nicht an der Dominanz der Interessen von Unternehmen gegenüber denen des Sozialstaates, sondern an der allgemeinen Funktionsweise. Dann an den Staat zu appellieren, seinen vermeintlich eigentlichen Auftrag als Fürsprecher des guten Lebens wahrzunehmen, geht am Ziel vorbei. Der Staat hat nicht den Zweck, für Bedürfnisbefriedigung zu sorgen, sondern dies nur im Hinblick auf das Vorankommen der kapitalistischen Gesellschaft.

Eine Kritik, die die Zustände der Reproduktion zum Ausgangspunkt nimmt, kann also nicht darauf hinauslaufen, dem Staat seinen Rückzug aus der Gewährleistung von Sozialleistungen vorzuwerfen und (fälschlicherweise) an ihn als Garant des Gemeinwohls zu appellieren. Ebenso muss das Geschlechterverhältnis und seine Funktionalität für den Kapitalismus mitgedacht werden. Es braucht in unserer Sicht nicht erst die Kritik an der vermeintlichen Zuspitzung der Widersprüche, die die normale Funktionsweise des Kapitalismus sind – schon der „ganz normale Kapitalismus“ mit seinem Geschlechterverhältnis ist das, wir wir abschaffen wollen.

Endnoten

1Da es uns in diesem Text primär um eine Bestimmung der Reproduktionssphäre im Allgemeinen geht, beschäftigen wir uns nicht tiefergehend mit erwerbsförmiger Reproduktionsarbeit. Deren Inanspruchnahme spielt natürlich immer eine Rolle, da die Menschen in dieser Gesellschaft selbst dafür sorgen müssen, dass es mit der Reproduktion klappt und damit bei ihnen (bzw. dem verfügbaren Geld) liegt, ob sie dafür bezahlte Dienstleistungen in Anspruch nehmen, wie Haushaltshilfen, Pflegeheime, Putzkräfte, private oder staatliche geförderte Kinderbetreuung. Die Bedingungen und Auseinandersetzungen in diesem Arbeitsbereich werden jedoch nicht gesondert betrachtet.


2
Obwohl wir sonst die Schreibweise mit Unterstrich verwenden, um auch Geschlechtsidentitäten jenseits der Zweigeschlechternorm sprachlich einzuschließen, benutzen wir an dieser Stelle bewusst das Binnen-I. Denn in Deutschland sind nur zwei Geschlechter offiziell anerkannt, die direkt nach der Geburt ins Personenstandsregister eingetragen werden müssen. Seit der Änderung des Personenstandsgesetzes 2013 ist es zwar möglich, den Geschlechtseintrag offenzulassen, sollten die Genitalien des neugeborenen Kindes eine eindeutige Geschlechtszuordnung nicht zulassen. Dabei soll es sich jedoch nur um ein „zunächst“ handeln. Vor dem Staat gibt es somit nur Staatsbürger und Staatsbürgerinnen.


3
Beispielsweise hier: „Die vergeschlechtlichte Arbeitsteilung wurde mit Ideologien untermauert, die in der vermeintlichen „Natur der Geschlechter“ die Begründung für die Zuordnung zu den Sphären ausmachten“ (S. 28). Damit impliziert das Buch eine Chronologie (erst die Sphärentrennung, dann die passende Ideologie), die die Funktion(alität) der Ideologie mit der Ursache ihrer Existenz gleichsetzt (ähnlich auf S. 23).


4
Dass trotz gewerkschaftlichen Kampfes für den männlichen Ein-Ernäher-Lohn der Lohn bei proletarischen Familien zumeist nicht ausreichte, sodass (Ehe-)Frauen neben der Hausarbeit und Kinderbetreuung stets lohnarbeiten mussten, zeigt, dass das Kapital kein Interesse an einer freigestellten Hausfrau hatte – sondern an niedrigen Löhnen.


5
Damit soll nicht gesagt sein, dass seine Funktionalität für den Kapitalismus auch die Ursache für die Existenz des Geschlechterverhältnisses sei oder es beabsichtigt für diesen Zweck installiert wurde, sondern lediglich, dass es in seiner jetzigen Verfasstheit Vorteile für den bürgerlichen Staat und den von ihm betreuten nationalen Kapitalismus bringt und sich deswegen weiter hält.


6
In den meisten Teilen der working class war es bereits vorher selbstverständlich, dass Frauen auch lohnarbeiten gehen mussten. Siehe Fußnote.4.


7
Damit soll nicht gesagt sein, dass es sich um eine rein freie Entscheidung handelt – Grundlage dieser geschlechtlichen Einsortierung und Identifizierung ist Zwang, der in der (Möglichkeit der) Sanktionierung von Abweichung immer im Hintergrund ist. Dennoch soll hier der Fokus darauf liegen, dass trotz aller negativen Erfahrungen die Meisten die geschlechtlichen Zuschreibungen annehmen und sich zu eigen machen; der Zwang ist sozusagen mit einer produktiven Eigenleistung vermittelt.


8
Dies gilt natürlich auch für die männlich Sortierten, die sich zu großen Teilen den Anspruch, sich als harter Typ in der Konkurrenz durchzusetzen (und modernisiert Männlichkeit darüber beweisen, an den richtigen Stellen auch mal Gefühle zu zeigen), zum Charakterzug machen und als Identität, nicht situative Eigenschaft, an sich durchsetzen.

 

9Zum Elterngeld und dessen impliziter Festschreibung von Frauen für die Kindererziehung ausführlich in einem Text aus der Gruppe la.ok: https://gegen-kapital-und-nation.org/%E2%80%9Emehr-kinder-%C3%A4hh-neue-m%C3%BCtter-braucht-das-deutsche-land%E2%80%9D

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